Nach einer deutlich wärmeren Nacht als erwartet, ist diese um 05:00 Uhr leider schon zu Ende. Aber das Aufstehen lohnt sich allein deshalb, weil wir von unserem bisher besten Zeltplatz der ganzen Tour einen tollen Sonnenaufgang genießen dürfen. Es ist zwar wieder ganz schön windig, doch die Erlebnisse vom gestrigen Tag, die wunderschöne Landschaft, die duftenden Pinien lassen mich heute auf ein mehr von diesen Eindrücken hoffen. Und als dann auch noch ein Kolibri dreimal sehr nah an mich herankommt, da er mich in meiner gelben Jacke wahrscheinlich für die größte Blüte seines Lebens hält, ist das Glück perfekt. Noch ....
Nun, im Laufe des Vormittags stelle ich relativ schnell fest, dass die Rückseite des Bergmassivs völlig anders aussieht, als gestern. Hier gibt es keine Pinien und duftenden Waldböden, sondern es machen sich die typischen, pieksenden Wüstenpflanzen breit.
Seitdem wir aufgestanden sind, laufen wir bergab, was zuerst toll ist, aber auf die Dauer extrem anstrengend wird. Wir laufen, laufen und laufen immer weiter bergab und was macht man beim stupiden Bergablaufen, wenn man nicht reden kann, da wir wegen der unebenen Strecke einen etwas größeren Abstand zueinanderhalten? Ich schalte auf Durchzug, laufe und gebe mich meinen Tagträumen hin. Wo wäre ich jetzt gern, was würde ich gerne machen, was würde ich gerne essen, was wäre, wenn wir schon in Kanada wären und, und, und. Halt all die Träume von den Dingen, die ich gerade nicht habe. Und dann reißt mich ein Geräusch jäh aus meinen Gedanken, das ich im Original noch nie, nie, nie gehört habe. Und dennoch weiß ich innerhalb von Sekundenbruchteilen, um was es sich handelt und dass es nichts, aber auch gar nichts Gutes bedeutet. Es rasselt, und zwar laut. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass auf meiner rechten Seite eine große Klapperschlange ist. Alles was dann passiert, ist reiner Reflex und ich kann mich an absolut keine bewusste Entscheidung erinnern. Ich seh‘ die Schlange und mir geht durch den Kopf, dass sie, um an mich heranzukommen, springen müsste und diesen Abstand schätze ich zu weit ein. Also renne ich los! Ach ne, ich schreie und renne gleichzeitig los. Während ich von Axel so etwas wie: "Ach du scheiße höre". Ich renne, hinter mir rasselt es immer noch und es wird auch nicht leiser. Nach 20 m ruft Axel ich könne damit jetzt aufhören, da ich weit genug weg sei. Ich dreh mich um und sehe, wie Axel seine Kamera zückt und Fotos von der sich zurückziehenden, aber immer noch rasselnden Schlange macht. Mit zitternden Beinen mache ich mich auf den Weg zurück. Die ist groß!
Diese Aktion hat mich so viel Adrenalin gekostet, dass ich danach völlig leergebrannt weiter laufe. Jedes Rascheln erschrickt mich, und als mir dann noch eine Three-lined-Boa über den Weg läuft, ist erst mal alles vorbei.
Endlich, nach 5,5 Stunden und 20 km Abstieg, sind wir im Tal angekommen. Jetzt fehlen uns nur noch etwas mehr als 7 km zu Ziggy and the bear. Und diese letzten Kilometer haben es noch mal schön in sich. Überall am Horizont stehen Windkrafträder und die stehen hier nicht umsonst. Wir torkeln mehr, als das Wir gehen, bis wir schließlich im Garten der Trailangel ankommen. Hier sitzen einige bekannte Gesichter, die alle nicht wissen, was sie machen sollen. Der Wetterbericht hat für morgen Abend, die Nacht und übermorgen eine Winterwetterwarnung herausgegeben. Die Temperaturen sollen deutlich unter 0 Grad sinken und in den Höhenlagen wird mit einer nicht unerheblichen Menge an Schnee gerechnet. Leider steht uns allen hier genau zu dieser Zeit ein Anstieg auf über 2700 Meter bevor.
Was nun?